Was für eine Gesellschaft

Manchmal geschieht es, dass ich mich
auf eine Parkbank setzte und dem Treiben auf der Strasse fröne. Was für eine
bewundernswerte Gesellschaft, denke ich mir. Ich schaue mir an, wie die
gepflegten, grazilen Körper über den Gehsteig huschen, den Gang eher im Laufen
führend. Keine Tritte, keine Aggression ist auszumachen. Kein Körper berührt
den anderen. Stehen sich zwei Leute gegenüber, die auf dieselbe Seite
ausweichen, ertönt es beidseitig entschuldigend, die Oberkörper
anschliessend verbeugend. Auf der Strasse ist kein Abfall zu erkennen.
Nicht einmal einen Zigarettenstümmel entdecke ich. Geraucht werden darf nur in
den vorgesehenen kleinen Zonen am Rande des Platzes. Nirgendwo sichte ich
Abfalleimer und dennoch könnte an Ort und Stelle eine Herztransplantation
stattfinden. Im Notfall würden die vielen sterilen Strassen mühelos die
Kriterien eines Feldlazaretts erfüllen.
Ich beobachte ferner, wie ein schwarzer Toyota Comfort von einem Herrn im perfekt sitzenden Anzug angehalten wird. Sein Haar ist grau meliert. Er ist vom Mitsubishi-Aufzug direkt auf das Trottoir geplatzt. Nun spiegelt sich seine Aktentasche in der schwarzen Kühlerhaube, auf der sich die silbernen Seitenspiegel befinden. Der in die Jahre gekommene Taxifahrer nickt dem Kunden mit seinem Hut sanft zu. Die Krawatte sitzt makellos, wie auch sein Gilet und Kittel. Das hölzerne Lenkrad wird von den weissen Handschuhen edel umfasst, bevor der Blinker gesetzt und behutsam auf der Strasse beschleunigt wird.
Neben der stilvollen Rabatte belädt eine junge Mutter das Panasonic-Elektrovelo
mit Kindern und den erstandenen Lebensmitteln. Vorne und hinten befindet sich je ein
Kindersitzchen. Ein Schirmhalter ist am rechten Lenkerrand
befestigt. Er gehört zur Standardausrüstung. Viele öffnen ihn, wenn es regnet
oder die Sonne scheint. Der Schirm wird hybrid und häufig genutzt. So finden
sich anstelle der Abfalleimer, nicht selten Schirmhalter vor den Geschäften.
Parkanlagen weisen nebst den Informationsbroschüren stets eine Handvoll Schirme
auf, die wie selbstverständ-lich zum Inventar gehören und alle Besuchende
benutzen dürfen.
Ein kleines Mädchen erscheint in meinem Blickfeld. Es dürfte erst wenige Wochen lang laufen können. Dem Alter entsprechend gäbe ich dem kleinen Geschöpf eine ordentliche Haltungsnote. Die im anthrazitenen Filzrock gekleidete Mutter scheint jedoch vor Furcht dem Zickzack ihrer Tochter zu folgen, wie ein Provinzial-Engel, um bei einem potenziellen Sturz prompt einzugreifen, bevor sich Tränen bilden können. Die italienischen Mammas würden vor Neid erblassen...