Moldau
"Die Republik Moldau ist das einzige Land Europas, dessen Entwicklung sich innerhalb der ökologischen Belastungsgrenze vollzieht." In: A Good Life For All Within Planetary Boundaries. University of Leeds, 5. Februar 2018

Das freundliche und neugierige Gesicht der Frau mit dem rot gemusterten Kopftuch auf dem Pferdewagen und das energische Winken im Nachgang, bleiben unvergessen. Es ist der erste Eindruck von einem Land, von dem nicht viel bekannt ist. Der eingedeutschte Namen Moldawien stammt aus dem russischen oder lateinischen und ist nicht ganz korrekt. Moldau nennt sich diese kleine Republik. Dieser Name birgt wiederum Gefahr zur Verwechslung, hat das Land mit dem Fluss der durch Prag fliesst, einen bekannten Namensvetter. Möglicherweise ist gar die gleichnamige sinfonische Dichtung von Bedřich Smetana bekannter.
Dominierend sind die endlosen, bewirtschafteten Hügelzüge. Hat man die Abfahrt holpernd und schlaglochausweichend geniessen können, treten die mäandrierenden Bäche oder Sümpfe mit ihren Schilfrändern deutlich hervor, bevor die Strasse schon wieder ansteigt. Auch bei kalten Temperaturen ist die Gefahr als Ötzi zu enden, beruhigend gering. Zudem erweckt eine solche Topografie die Neugier des Schweizer Radlers, der sich wie in den heimischen Alpen fühlt, wo er Berggipfel erklommen hat, um zu sehen was sich dahinter verbirgt. So bietet sich ihm, fern der Heimat, dieselbe Möglichkeit mit zwei Rädern bestückt, die nächsten Äcker, Obstkulturen und Alleen zu beäugen, bis diese ins Modellhafte verkleinert werden und mit dem Dunst am Horizont verschwimmen.
Dörfer sind nie dort errichtet, wo die Aussicht am schönsten ist, sondern wo die Hügel am Morgen und am Abend der Sonne im Wege stehen. Die Trottoirs in den Dörfern dürfen nicht den Eindruck erwecken, als sei die Infrastruktur tadellos. Alleine der Umstand, dass die Ziehbrunnen rege benutzt werden und dem elektrischen Licht nicht die Möglichkeit geboten wird, nachts die Strassen zu erhellen, widerlegt diesen. Hühner sind das sichtbarste Lebenszeichen der vermeintlich verwaisten, von der Sonne verblichenen Häuser. Die danebenliegenden, tadellosen, kleinen und eingezäunten Äcker dienen als private Kornkammern. Ist ein solcher Acker nicht sichtbar, wurde das Haus möglicherweise für eine bessere Zukunft in der Stadt oder in Westeuropa verlassen. Die mit Messing oder Chromstahl ziselierten Eingangstore deuten darauf hin, dass dieser Prozess stattgefunden hat, mit dem entscheidenden Unterschied, dass höchstwahrscheinlich Geld an die noch im Dorf lebenden Verwandten transferiert wurde.
Die gewechselte lateinische Schrift bringt ein bisschen Vertrautheit zurück. Sämtliche Gewohnheiten aus der Sowjet-Ära sind allerdings nach bald drei Jahrzehnten noch nicht archiviert. Zur Verständigung hilft Russisch, das in manchen Landesteilen gar dem moldauischen Idiom vorgezogen wird. Das Land scheint zwischen den russischen und europäischen Einflusssphären zu schwanken. Die ungeordnete Schlange aus dunkel gekleideten Menschen vor einem staatlichen Gebäude zeigt, dass sich die Bewohnenden dieser Frage indirekt, aber demokratisch stellen.
Und so hupen mir die letzten Autos entgegen, in denen ich winkende Hände erkenne oder einen Daumen der in den Zenit zeigt.