Der Rückruf

14.01.2022
Ab und zu habe ich mich selbst um meine administrativen Angelegenheiten zu kümmern, wohlwissentlich, dass dieser Moment an dem ich mich darum bemühe, bereits in der ausgedehntesten Frist befindet. So sah ich mich eines Abends genötigt, mich mit meiner Zukunft zu beschäftigen, an dem mein Alter eine Ziffer erreicht haben wird, die mehr als der Verdoppelung der gegenwärtigen entspricht. Gefühlt zeigt diese imense Zeitspanne die Entfernung unserer Galaxie zum Andromedanebel, einer gar irrationalen Distanz. Wohlwollende Stimmen die mir in der Vergangenheit dazu rieten, habe ich stets mit einem freundlichen Kopfnicken besänftigt und mit einem apruptem Themenwechsel aufgewartet, um mich der sich abzeichnenden Schelte zu entziehen. Die entscheidende Einflussnahme entsprang einem Filmchen, das sich selbstherrlich auf einer einschlägigen Plattform platzierte und mit lockeren Comicfiguren und einer sonoren Begleitstimme hantierte, die vor potentiellen Beitragslücken eindringlich warnten. Voller ungewohntem Tatendrang bestellte ich in einem ersten Schritt den dafür nötigen Kontoauszug, der mit dem Anwählen einiger Checkboxen äusserst simpel zu bestellen war. Die AHV-Nummer kramte ich aus einem aufgestapelten Papierbündel hervor, wo sie mir zufällig ins Auge sprang. Aus dem anschliessenden Bestätigungsmail entnahm ich bereits sichtlich desinteressiert den vorgesehenen Zustellungszeitraum.


Zwei Wochen später fand ich zwischen geschmacklosen Kühlschrankprospekten und einem Wir-Kaufen-Ihren-Schmuck-Zettel einen persönlichen Brief, der überraschenderweise meinen selten verwendeten Zweitnamen durch das matt spiegelnde Couvertfenster zeigte. Die Neugier erfasste mich prompt, dass ich den Brief noch auf den ersten Treppenstufen klobig aufriss und dabei rücksichtslos den geflochtenen Wäschekorb meiner Nachbarin touchierte, deren Hände dessen Griffe mühevoll umklammerten. Entschuldigend entschwand ich ihrem grimassierenden Blick. Ein paar vier- bis fünfstellige Zahlen folgten einer Jahreszahl die in tabellarischen Zellen gefangen sind. Enttäuscht warf ich den Brief in ein Fach, das vor dem Gewicht schierer Pendenzen den mir vertrauten konvexen Anblick bietet. Den vielen zwischenzeitlichen Träumereien denen ich mich gelegentlich anheim gebe, vertilgten meine spärlichen Erinnerungssynapsen, worauf ich das gefaltete Papier zunächst für eine verwechselte Zustellung hielt. Später, als ich die leicht deformierten Zwiebeln häutete und dabei fast ein Stück Zeigefingerhaut mitschnitt, plante ich die nächsten Schritte mit diesem Papier. Beim hastigen Verkauen des Abendbrots festigte ich den Entschluss die Kontaktadresse zu rechercherieren, ohne das Vorhaben zeitlich einzugrenzen. Mit dieser laschen Arbeitsmoral verstrichen erneut einige Tage. Erst recht, als ich die Suche als unverschämt kompliziert verschmähte. Kein Filmchen, keine Comicfiguren und auch keine sonore Stimme wiesen mir den Weg. Ich kontaktierte über ein elektronisches Formular irgendeine Kasse, von der ich mir Hilfe versprach, die mir postum ein analoges Papier zustellen liess, in dem stand, dass ich mich für eine Terminfindung gerne an einem bestimmten Termin melden möge. Die Ereignisse hielt ich für das fortgeschrittene 3. Jahrtausend für zutiefst schockierend. Die Newsletter handeln von Künstlicher Intelligenz und dem Internet der Dinge und diese Kasse bedient sich dieser altmodischen Methode. Einige Magenrezeptoren sendeten daraufhin ein ungutes Gefühl an meine Hirnzentrale. Kurzentschlossen wählte ich die abgedruckte Nummer. Just als ich auflegen wollte, erschreckte mich die aufgeweckte Stimme, die mich aufklärte, dass die gesuchte Person besetzt sei und ich es einer Viertelstunde später erneut versuchen solle. Mit einer aufdringlichen Höflichkeit bat ich den jungen Herren um einen Rückruf. Diese Bitte schien derart ungewohnt geäussert zu sein, dass ich ab der eintretenden Stille einen Unterbruch in der Leitung vermuten musste. Nach einem vorsichtigen Hallo meinerseits erklang im Fünfsekundenintervall zunächst ein ausgedehntes Eeeehhm, dann ein demotiviertes Seufzen und schliesslich eine wiederwillige Zusage, die mich davon ausgehen liess, dass mich der Rückruf nie erreichen würde. Ich verdankte dieses Entgegenkommen herzlichst. Vor dem käsetriefenden Gratin - meiner Mittagsmahlzeit - erreichte mich erwartungsgemäss keinen Rückruf. Ich setzte Ultimaten fest, die verstreichen sollten, ehe ich mich wieder melden würde. Die wuchtigen Schmähungen hatte ich mir vorsichtshalber auch zusammen geschustert. Wider besseren Vermutungen klingelte mein Telefon am fortgeschrittenen Nachmittag, an dem mich eine etwas lächerliche Frauenstimme nach einem potentiellen Termin erfragte. Ihr schien nur der Tag relevant zu sein, die Stunde brachte sie zunächst nicht zur Sprache. Erst als sie meine Irritation bemerkt haben musste, setzte sie unverbindlich nach, ob ich schon wisse, um welche Uhrzeit ich aufzukreuzen gedenke. Als der Termin in gegenseitigem Einvernehmen beschlossen war, hielt die Gegenpartei fest, dass sie ihren Privatkalender noch zu konsultieren habe, da sich daraus auch schon Überschneidungen ergeben hätten.


Bei derartig seltsamen Verhaltensweisen und den nachweislich äusserst komplizierten Vorgängen, muss ich selbstschützend resümieren, dass mein administrativer Verdruss aus diesen jahrelangen Nonchalance gefertigt wurde.

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